Ein Artikel vom 13.11.2000
von Dr. Wolfgang Hingst, Publizist, Wien
Kann es eigentlich noch schlimmer werden, jetzt, da sich herausstellt, dass Österreich auch noch zu einem Spitzelstaat verkommen ist? Vor ein paar Tagen sagte mir ein aus Deutschland stammender, in Österreich tätiger Arzt: Es ist traurig, dass Österreich in letzter Zeit so abgewirtschaftet hat. Das ist nicht gut für das Land, aber auch nicht gut für die Welt! Er hat damit den zentralen Punkt getroffen. All das Vermittlungsprestige, das dieses Land nach 1955 bis zum Ende der Kreisky-Ära aufgebaut hatte, wurde durch eine kriecherische und idiotische Politik zunächst Schritt für Schritt und dann erdrutschartig seit dem EU-Beitritt verspielt.
Seit 1995 wurde so abgewirtschaftet, dass sogar der Sozialstaat - einst der ganze Stolz - in äusserster Gefahr ist. Die Speichellecker in Wien haben das Land an Brüssel verkauft, mitsamt der früher international anerkannten Friedenspolitik, mitsamt der dazu notwendigen Eigenständigkeit und Souveränität. Die Schweizer, nach deren Modell wir bekanntlich unsere Neutralität per Verfassung ausrichten sollen, haben wieder einmal klüger agiert: Wirtschaftsverträge ja, aber niemals Aufgabe der Souveränität, der Neutralität, der Hoheit über Transitverkehr, Energie- und Budgetpolitik. Wenn einmal 80 % der Gesetze nicht mehr im Land entstehen, wozu dann noch ein nationales Parlament? Ende der Demokratie.
Die rechtlich völlig unhaltbaren EU-Sanktionen gegen Österreich nach der Installierung der schwarz-blauen Regierung stützten absurderweise einen Kanzler Schüssel, der patriotische Gefühle mobilisieren konnte, obwohl er sich als einer der beflissen-emsigsten EU-Diener betätigt. Die «Machtübernahme» durch ihn gründet auf einer Lüge. Denn vor der Wahl hatte er versprochen, im Fall seine ÖVP drittstärkste Partei würde, in Opposition zu gehen. Jörg Haider, der Schüssel zum Kanzler machte, spielt ebenfalls den EU-Kritiker, ohne es je gewesen zu sein. Er ist in allen zentralen Fragen durchaus ein devoter EU-Geselle.
Militäreinsatz für den Dschungelkapitalismus
Unter dieser Regierung, die sich innen- wie aussenpolitisch völlig ins Out manövriert hat, betreibt der EU-Zwerg Österreich grössenwahnsinnige Vorhut-Politik für einen dem internationalen Dschungelkapitalismus entsprechenden Neo-Militarismus. Mittel: Nato-Beitritt plus Ost-Erweiterung - wie immer durch Manipulation und windige Tricks. Übertreibungen? Während das Baltikum wegen der kostspieligen Rüstungspläne (2% des BIP) seine Beitrittspläne zurücksteckt, will das neutrale Österreich auf Biegen und Brechen in die Nato!
Nach dem Abwirtschaften kommt der Krieg. Mit Friedenspolitik will die österreichische Bundesregierung nichts zu tun haben. Aussenministerin Ferrero-Waldner hat laut Spiegel (31/2000) Ende Juli dieses Jahres bei einem vertraulichen Treffen der Aussenminister in Brüssel vorgeschlagen, in der EU militärische Beistandspflicht einzuführen - was einen Bruch des in der Verfassung verankerten Neutralitätsgesetzes gleichkommt. Damit solle eine «kleine Gruppe integrationswilliger EU-Mitglieder enger kooperieren». Dazu passt genau die wenig später («Kurier» vom 19.9.2000) abgegebene Erklärung von Minister Scheibner (Freiheitliche), unsere Uno-Truppen aus Zypern abzuziehen und das Geld in die geplante EU-Eingreiftruppe zu stecken.
Diktat der Amerikaner
Kürzlich erreichte mich die Nachricht, dass Österreichs Botschafter in den USA, Peter Moser, erklärte: «Die Realität ist, dass Neutralität nicht länger möglich und dass Österreichs Isolationismus nicht länger akzeptabel ist.» (Marcia Kurop: «Österreich überlegt, die Neutralität fallenzulassen, um der Nato beizutreten.» Defense News vom 9. Oktober 2000) Schon wieder eine Täuschung der Öffentlichkeit, denn gleichzeitig erklärt die Aussenministerin in einem Interview («Kronenzeitung» vom 1.11.2000), der Nato-Beitritt sei auf Eis gelegt. Das fällt sogar Nationalratspräsident Heinz Fischer auf. Er warnt die Regierung vor «Geheimpolitik» («Die Presse» vom 28.10.00).
Ich habe in meinem im September 1999 erschienenen Buch «Ihre Zukunft als EU-Bürger: Abgezockt, verkauft und angeschmiert» (siehe nachfolgende Besprechung) geschrieben: «Aussenminister Wolfgang Schüssel und Verteidigungsminister Werner Fasslabend - beide der konservativen Volkpartei zugehörig - haben die in der Verfassung verankerte Neutralität Österreichs täglich mit Füssen getreten. Schüssel bezeichnete die Neutralität Mitte April 1999 als «widersinnig», Fasslabend verlangte den Einsatz von Nato-Bodentruppen im Kosovo. Es sieht nach einer langfristigen politischen Konsequenz in Europa aus: Rot, Grün, Rot-Grün am Ende. In Österreich kommt die schwarz-blaue Koalition. Jörg Haider, Chef der im rechten Spektrum angesiedelten Freiheitlichen, will ebenso in die Nato wie Schüssel und Fasslabend.» Und sie kam, die Schwarz-Blaue, vier Monate später. Logisch, bei so vielen Gemeinsamkeiten, vor allem die peinliche Nato-Geilheit.
Ost-Erweiterung durchpeitschen
Noch eine gravierende Gemeinsamkeit: Mit Brüssel will die österreichische Regierung die Ost-Erweiterung so schnell wie möglich durchpeitschen. Dass Haider seine burgenländischen Parteifreunde zur Tarnung gegen die Ost-Erweiterung vorschickt, ist nichts als ein läppisches Alibi, blosse Tarnung, weil der Populist weiss, dass das «Fussvolk» gegen die Ost-Erweiterung ist. Nach einem sogenannten «Eurobarometer» der Europäischen Kommission vom Herbst 1999 sehen nur 27% in der gesamten Union die geplante Ost-Erweiterung positiv! Das war übrigens der Hintergrund für den scheinbar überraschenden Vorstoss des für die Ost-Erweiterung zuständigen Kommissars Günter Verheugen, eines geeichten Eurokraten, der kürzlich vor dem Beitritt der Kandidaten eine Volksabstimmung forderte. Verheugen wurde sofort scharf zurückgepfiffen und frisst seither Kreide.
Der österreichische EU-Kommissar Fischler erklärte damals in einem Radiointerview, er könne sich eine Abstimmung über die Ost-Erweiterung gut vorstellen. Auch ein populistisches Probeluftballönchen. Die «Grosskopferten» in der Union wissen natürlich, was für ein sozialer und ökonomischer Wahnsinn die Ost-Erweiterung ist und wollen die Verantwortung noch schnell dem Volk in die Schuhe schieben. Ein besonders unappetitliches Theater!
Die EU-Bürger fürchten nach einer deutschen Meinungsumfrage (Die Woche vom 15. September) zu Recht finanzielle Lasten, mehr Kriminalität, Billig-Konkurrenz, verstärkte Zuwanderung, höhere Arbeitslosigkeit. Aber es bleibt dabei: Ost-Erweiterung - koste es was es wolle. Und es kostet viel: Die EU-Kommission schätzt allein den Aufwand für den Ausbau der wichtigsten Verkehrswege in den zehn Kandidatenländern - verteilt auf 20 Jahre - auf 190 Milliarden Euro. Das sind rund 2660 Milliarden Schilling. (Bei solchen Summen sag' ich zur Förderung der Vorstellungskraft immer dazu: Eine Milliarde Schilling ist ein Packl Tausender, so hoch wie der Stefansturm).
Allein die erste Erweiterungsrunde kostet - so habe ich, bisher unwidersprochen, in «Abgezockt» geschrieben - 1000 Milliarden Schilling. Abgezockt werden wir alle, die braven Steuerzahler: Die Nettozahlungen Österreichs in den EU-Topf werden von heute 16 auf mindestens 27 Milliarden Schilling im Jahr 2006 steigen. Dafür betreibt die Regierung heute schon das grösste Sozialabbauprogramm in der Geschichte der Zweiten Republik!
Europapolitik ohne Bürger
Tatsache ist: Europapolitik findet weitgehend ohne die Bürger statt. Selbst vor der Einführung des Euro wurden die Wähler in den meisten Mitgliedsländern nicht gefragt. Die Dänen durften am 28. September wenigstens über die superweiche Einheitswährung, die ich in «Abgezockt» ebenfalls vorhergesagt habe, abstimmen. Wieder warfen die EU-Cliquen Unsummen von Geld und ihre gesamte «manpower» in die Schlacht, um ein Nein zu verhindern. Wie wir wissen, vergeblich. Die üblichen üblen Tricks sind schon etwas verbraucht, die Propagandawalze abgenutzt.
Insgesamt bleibt die EU unreformierbar und antidemokratisch, scheindemokratisch. Und das nicht nur wegen ihres stets leeren Parlaments, dessen privilegierte Akteure ohnehin kaum etwas zu sagen haben. Der ehemalige EU-Kommissar Lord Dahrendorf hat bei einer politischen Diskussion zum Thema «Demokratie in Gefahr» im Wiener Burgtheater am 18. Juni 2000 einen viel tieferen Grund ausgemacht: Das Hinaufdelegieren von Entscheidungen sei für den kontinuierlichen Verlust an Demokratie verantwortlich. Wörtlich sagte er (zitiert nach IWM Newsletter, May/July 2000):
«Es stellt sich doch heraus, dass die Demokratie im strengen Sinn des Begriffs sehr eng zusammenhängt mit dem Nationalstaat. Der Nationalstaat ist streng genommen die letzte Einheit, der letzte politische Raum, in dem die repräsentative Demokratie durch parlamentarische Diskussion, durch Wahlen wirklich funktionieren konnte. Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass Europa nicht demokratisch ist. Die Tatsache, dass gewählt wird, schafft noch keine Demokratie ... Und in dem Augenblick, in dem Entscheidungen noch weiter weg wandern vom Nationalstaat, wird die Demokratie immer weniger.»
Strasse zum «Haus Europa» mit Lügen gepflastert
Die Strasse zum «Haus Europa» ist gepflastert mit Lügen. Eine der grössten Lügen war die versprochene Stabilität des Euro, vor kurzem noch Ecu genannt. Es werde eine harte Währung sein, hiess es. Falsch: Sie war von Anfang an weich. Der Euro hat nicht nur gegenüber dem Dollar, sondern auch gegenüber dem vor kurzem noch angeschlagenen Yen um rund ein Drittel an Wert verloren. Knapper Kommentar der Insider: Den Investoren fehlt eben das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung.
Warum wohl? Nicht nur weil die Europäische Zentralbank unprofessionell agierte, sondern weil man von Anfang an wusste, dass die Mischung von weichen und harten Währungen keine harte Währung bringen kann, weil - auch das war von vornherein klar - eine neue, grosse, breit gehandelte Währung als Spielball der internationalen Geldjongleure und -spekulanten ideal ist, eine Währungsunion noch nie in der Geschichte ohne eine historisch gewachsene gemeinsame Basis überlebt hat und weil man jetzt weiss, dass sich die Europäer unbedingt an der Ost-Erweiterung überheben wollen.
Blamabel, dass sogar Amerikaner und Japaner den kranken Euro stützen müssen. Ein Geburtsfehler: Die meisten EU-Mitglieder erreichten die Maastricht-Kriterien nur durch plumpe Budget-Tricks. Warum also «Euro-Land»? Weil die EU nur der verlängerte Arm der USA und der Nato ist. Auf Sand gebaute Gebilde dieser Art haben in der Geschichte keine Chance und lösen sich früher oder später aufgrund ihrer inneren Widersprüche auf.