Erich Mühsam
„Anarchie ist Freiheit von Zwang, Gewalt, Knechtung, Gesetz, Zentralisation, Staat. Die anarchische Gesellschaft setzt an deren Stelle: Freiwilligkeit, Verständigung, Vertrag, Konvention, Bündnis, Volk.
Aber die Menschen verlangen nach Herrschaft, weil sie in sich selbst keine Beherrschtheit haben. Sie küssen die Talare der Priester und die Stiefel der Fürsten, weil sie keine Selbstachtung haben und ihren Verehrungssinn nach außen produzieren müssen.“
Erich Mühsam, wer ist das? Tatsächlich wissen heute Viele mit dem Namen nichts mehr anzufangen. Auch in den Reihen der Buchhandlungen sucht man meist vergeblich nach ihm. Ein Symptom dafür, dass die kulturelle Erinnerungsarbeit außerhalb einiger kleiner linksintellektueller Kreise hier jahrzehntelang geschlafen hat.
Oder – schlimmer Verdacht – gar schlafen wollte?“
So stand es 2003 in der „Zeit“ zu lesen, als zum 125. Geburtstag des Schriftstellers und Anarchisten Erich Mühsam ihm die Stadt München eine Ausstellung widmete. 2018 lenkt zumindest das Gedenkjahr an die 100 Jahre zurückliegende Revolution in Bayern und das kurze Experiment der Räterepublik wieder das Augenmerk auf diese Namen: Erich Mühsam, Gustav Landauer, Kurt Eisner. Eine Regentschaft der Poesie, schnell niedergeknüppelt.
Wer war dieser Mann, der zeitlebens den aufrechten Gang übte?
Biographisches in aller Kürze:
1878 in Berlin geboren, Kind jüdischer Eltern (1926 trat er aus dem Judentum aus), aufgewachsen in Lübeck. Dort wird der sprachlich begabte Schüler, der früh schon eigene Texte schreibt, 1896 vom Gymnasium wegen „sozialistischer Umtriebe“ verwiesen. Dem Wunsch des Vaters – der eine zeitlang die Lübecker Löwen-Apotheke, heute auch aufgrund ihrer Ausstattung ein Anziehungspunkt für Touristen, betrieb – beginnt Mühsam eine Lehre zum Apothekergehilfen.
Der Gefangene
Ich hab’s mein Lebtag nicht gelernt,
mich fremdem Zwang zu fügen.
Jetzt haben sie mich einkasernt,
von Heim und Weib und Werk entfernt.
Doch ob sie mich erschlügen:
Sich fügen heißt lügen!
Ich soll? Ich muß? – Doch will ich nicht
nach jener Herrn Vergnügen.
Ich tu nicht, was ein Fronvogt spricht.
Rebellen kennen bessre Pflicht,
als sich ins Joch zu fügen.
Sich fügen heißt lügen!
Der Staat, der mir die Freiheit nahm,
der folgt, mich zu betrügen,
mir in den Kerker ohne Scham.
Ich soll dem Paragraphenkram
mich noch in Fesseln fügen.
Sich fügen heißt lügen!
Stellt doch den Frevler an die Wand!
So kann’s euch wohl genügen.
Denn eher dorre meine Hand,
eh ich in Sklavenunverstand
der Geißel mich sollt fügen.
Sich fügen heißt lügen!
Doch bricht die Kette einst entzwei,
darf ich in vollen Zügen
die Sonne atmen – Tyrannei!
dann ruf ich’s in das Volk: Sei frei!
Verlern es, dich zu fügen!
Sich fügen heißt lügen!
https://birgit-boellinger.com/2018/10/09/erich-muehsam/