Die neueste Strömung ist die Theorie komplexer Systeme (Vertreter u. A. Stuart Kauffman). Ein komplexes System ist dabei ein System, dessen Eigenschaften sich nicht vollständig aus den Eigenschaften der Komponenten des Systems erklären lassen. Komplexe Systeme bestehen aus einer Vielzahl von miteinander verbundenen und interagierenden Teilen, Entitäten oder Agenten.
Komplexe Systeme sind Systeme, welche sich der Vereinfachung verwehren und vielschichtig bleiben. Insbesondere gehören hierzu die komplexen adaptiven Systeme, die imstande sind, sich an ihre Umgebung anzupassen.
Komplexe Systeme zeigen eine Reihe von Eigenschaften:
Agentenbasiert:
Komplexe Systeme bestehen aus einzelnen Teilen, die miteinander in Wechselwirkung stehen (Moleküle, Individuen, Software Agenten, etc.).
Nichtlinearität:
Kleine Störungen des Systems oder minimale Unterschiede in den Anfangsbedingungen führen oft zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen (Schmetterlingseffekt, Phasenübergänge). Die Wirkzusammenhänge der Systemkomponenten sind im Allgemeinen nichtlinear.
Emergenz:
Im Gegensatz zu lediglich komplizierten Systemen zeigen komplexe Systeme Emergenz. Entgegen einer verbreiteten Vereinfachung bedeutet Emergenz nicht, dass die Eigenschaften der emergierenden Systemebenen von den darunter liegenden Ebenen vollständig unabhängig sind. Emergente Eigenschaften lassen sich jedoch auch nicht aus der isolierten Analyse des Verhaltens einzelner Systemkomponenten erklären.
Wechselwirkung (Interaktion):
Die Wechselwirkungen zwischen den Teilen des Systems (Systemkomponenten) sind lokal, ihre Auswirkungen in der Regel global.
Offenes System:
Komplexe Systeme sind üblicherweise offene Systeme. Sie stehen also im Kontakt mit ihrer Umgebung und befinden sich fern vom thermodynamischen Gleichgewicht. Das bedeutet, dass sie von einem permanenten Durchfluss von Energie bzw. Materie abhängen.
Selbstorganisation:
Dies ermöglicht die Bildung insgesamt stabiler Strukturen (Selbststabilisierung oder Homöostase), die ihrerseits das thermodynamische Ungleichgewicht aufrechterhalten. Sie sind dabei in der Lage, Informationen zu verarbeiten bzw. zu lernen.
Selbstregulation:
Dadurch können sie die Fähigkeit zur inneren Harmonisierung entwickeln. Sie sind also in der Lage, aufgrund der Informationen und derer Verarbeitung das innere Gleichgewicht und Balance zu verstärken.
Pfade:
Komplexe Systeme zeigen Pfadabhängigkeit: Ihr zeitliches Verhalten ist nicht nur vom aktuellen Zustand, sondern auch von der Vorgeschichte des Systems abhängig.
Attraktoren:
Die meisten komplexen Systeme weisen so genannte Attraktoren auf, d. h. dass das System unabhängig von seinen Anfangsbedingungen bestimmte Zustände oder Zustandsabfolgen anstrebt, wobei diese Zustandsabfolgen auch chaotisch sein können; dies sind die „seltsamen Attraktoren“ der Chaosforschung.
Was ist das System?
Ein System wird im allgemeinen Sprachgebrauch als eine Gesamtheit von Elementen, die so aufeinander bezogen sind und in einer Weise wechselwirken, dass sie als eine aufgaben-, sinn- oder zweckgebundene Einheit angesehen werden können und sich in dieser Hinsicht gegenüber der sie umgebenden Umwelt abgrenzen.
In der obigen Definition stecken einige Probleme. Das ist die Frage, ob der Aufgaben-, Sinn-, Zweckbezug objektiv gesehen werden kann und vor allem, was das Umfeld des Systems ist und wo die Grenzen gezogen werden müssen.
Die Grundannahme, die man beim Betrachten von Systemen treffen muß, ist die, daß es Systeme überhaupt gibt. Anders geartete theoretische Überlegungen gibt es seit langem.
In einem System haben wir ein Geschehen, das sich auf sich selbst bezieht und wir beobachten können; oder besser: Dessen Beobachtung wir beobachten können. Es geht schließlich darum auch die Wahrnehmung mit in die Betrachtung einzubeziehen, denn sie ist auch ein Geschehen, das auf das System rückkoppelt.
Aber was bedeutet nun "Geschehen, das sich auf sich selber bezieht"? Meine Erläuterung zur Wahrnehmung gibt schon eine Idee davon. Es muß sich um Geschehen handeln, welches in Abhängigkeit zueinander steht. Das kann z.B. unser Alltagsgeschehen sein, in dem wir mit anderen Menschen und unserer Umwelt interagieren und uns wechselseitig beeinflussen. Dieses Verhalten hat den Zweck, daß sich diese Handlungen wiederholen lassen und nicht erst neu eingeführt werden. Das ist die Bedeutung. Systeme entstehen, wenn Geschehnisse aneinander anschließen; dadurch entsteht Struktur. Durch wird auch deutlich, dass das wesentliche Element eines Systems die Geschehnisse in ihm sind. Dadurch wird eine Grenze geschaffen und durch das System Komplexität reduziert (wichtige Eigenschaft von Systemen).
Mit der Bildung dieser Grenze durch Geschehnisse entstehen System und Umwelt gleichermaßen. Zur Umwelt kann es somit keine reproduzierten Geschehnisse geben. Wichtig ist auch: Systeme sind kein Willensakt; ihre Grundlage jedoch schon. Darauf komme ich zurück.
Das soziale System
Das mag nun verwundern, da schließlich hier andere Grenzen gezogen werden müssten, die weder geographisch, kulturell oder geistig begründet sind. Die Erde ist somit das System.
So ist es aber auch nicht. Dann wir haben gerade ein sehr hohe Abstraktionsebene betrachtet. Brechen wir das ganze auf soziale Systeme herunter, dann sieht es anders aus.
Die Geschehnisse, in der soziale Systeme entstehen, ist Kommunikation. Wenn eine Kommunikation an eine Kommunikation anschließt und sie wieder auf diese beziehen kann, so entsteht ein soziales System. Kommunikation wird durch Sprache und durch Kommunikationsmedien möglich. Damit wird deutlich, daß in letzter Instanz ein "soziales System" nur dann möglich ist, wenn kommuniziert werden kann. Kommunikation wird hierbei auch als Handlung aufgefasst. Damit kommuniziert werden kann, braucht es Medien, damit sich Sender und Empfänger verstehen können. Das kann man Kultur, Konventionen und Werte nennen. Dabei kann Kommunikation weitgehend unabhängig vom Menschen gesehen werden, denn Kommunikation ist in weiten Bereichen nicht kontrollierbar. Aber in allerletzter Instanz ist sie ein Willensakt; daher ist sie Element des Systems.
Vom sozialen System kommt man nun zu Funkionalsystemen.
Funktionalsysteme
Das soziale System (oder die Gesellschaft) ist ein umfassendes System, das in Funktionssysteme untergliedert wird. So entstehen Politik, Recht und Wirtschaft.
Auch diese Systeme basieren auf Geschehnissen und bauen auf Konventionen und Werte, d.h. ihrer Kultur auf. Daher ist es möglich zwischen Recht und Unrecht, oder wahr und falsch zu unterscheiden. Diese Unterscheidungen oder "Konventionen" bilden den Rahmen, innerhalb dessen das Subystem Formen ausbilden kann. Die Konvention sorgt für die operative Schließung des Systems.
Implikationen für den Umgang / für die Praxis
Nach dieser Lesart und diesem Verständnis von Systemen, bietet sich für den Leser auf der einen Seite ein ernüchterndes Bild, auf der anderen Seite jedoch auch der Ansatz zum Akt.
Systeme stellen sich in der jetzigen Darstellung als sehr stabil dar. Menschen spielen im Grunde keine Rolle. Oder doch? Natürlich tun sie es. Denn sie sind Entscheidungsträger, Kommunikationsträger. Aber ihre Art der Kommunikation schafft das System; die Kommunikation überhaupt ist etwas sehr soziales, humanes.
Doch zurück zur Stabilität. Aus der obigen Betrachtung heraus erscheint es so, als wären das System und seine Subsysteme notwendig. Ich denke, dieses Postulat kann man in der Form bestätigen, als dass es zu allen Zeiten operativ abgeschlossene Teilbereiche im Leben des Menschen gab. Von rudimentären Ansätzen hin zu immer feineren Differenzierung. Die Systeme sind nötig und werden augenscheinlich durch die Geschehen selbstständig geschaffen und erhalten sich auch durch eben jenes.
Das heißt, daß ein System nur verschwindet, wenn das Geschehen es nicht mehr selber reproduziert und es verändert sich nur, wenn sich das Geschehen bzw. die Kommunikation in sich verändert.
Es geht somit darum die Kommunikation zu verändern, sie für sich zu gewinnen und damit eine Veränderung zu erzielen. Oder es geht darum das Geschehen aus seinem Aufgaben-, Zweck-, und Sinnzusammenghang zu nehmen, so daß es sich auflöst.
Bei letzterem ist mir persönlich nicht klar, wie das möglich sein soll, wenn vorher nicht die Kommunikation gewonnen wurde. Über veränderte Kommunikation, kann sich auch die Art und Stoßrichtung des Systems (nicht aber seine Bedeutung) verändern. Das wäre quasi das kybernetische Moment dieser Theorie.