Die Liste skandalöser Vorgänge wird täglich länger, der Befund beklemmender, die politische Rechtfertigungsakrobatik dreister. Betroffen sind mittlerweile alle Bereiche der Justiz, von den Staatsanwaltschaften über die Ministerialbürokratie bis hin zu den Gerichten. Auch Polizei und Politik sind beteiligt. Von Medien und Öffentlichkeit wird diese nur scheinbar zufällige Häufung von Mißständen weitgehend als Serie isolierter Fälle wahrgenommen, so als handle es sich bloß um vereinzelte schwarze Schafe – und nicht um ein System.
Trotz der Flut von Enthüllungen sind kaum Ansätze zu erkennen, grundlegende Reformen zu diskutieren. Die Politik schweigt, wiegelt ab oder versucht, «Verräter» in den Behörden dingfest zu machen. Bestenfalls mündet öffentliche Kritik in der alten Forderung, das Weisungsrecht der Justizminister an die Staatsanwaltschaften aufzuheben. So als wüßte man nicht über die spezifische Innenwelt der österreichischen Politik Bescheid. Dokumentierte Weisungen und öffentliche Entscheidungen sind dort eher verpönt. Abhängigkeiten werden durch Einfluß auf Budget, Personal oder Karriere erzielt, die Kameraderie der Eliten sichert das hermetisch geschlossene System.
Die Wurzel allen politischen Übels in Österreich liegt darin, daß das Prinzip der Gewaltenteilung bislang nicht verwirklicht wurde. Weder ist das Parlament Gesetzgeber noch die Justiz unabhängig. Es herrscht ein eklatanter Mangel an republikanischem Bewußtsein und damit auch an einem Ethos der Autonomie von Parlament und Justiz gegenüber Regierung und Bürokratie. Diese haben es jahrzehntelang verstanden, die Begrenzung ihrer Macht zu hintertreiben.
Deshalb existiert in Österreich bis heute kein moderner Katalog der Grund- und Freiheitsrechte, die per Definition aus Abwehrrechten gegenüber dem Staat bestehen. Bei den Verurteilungen durch den Gerichtshof in Straßburg wegen der Verletzung von Meinungs- und Pressefreiheit nimmt Österreich die Spitzenposition vor allen Staaten der Union ein, ja es übertrumpft sogar Rußland!
Auch das Bild, das der österreichische Bundesrechnungshof abgibt, ist kläglich, wenn maximal im Nachhinein, wenn also der Schaden schon angerichtet ist, berichtet wird, und zwar in der Regel folgenlos.